Abschiedsbrief an einen Freund

Bernd Skowasch war ein intensiver Mensch und ein schwer zu greifendes Rätsel zwischen Punk und Poesie, zwischen Berlin-Kreuzberg und Solingen, zwischen Rausch und einer großen Nüchternheit. Auszug aus meiner Trauerrede.

Lieber Bernd,

Du gehörst zu den Menschen in meinem Leben, die mich am meisten überrascht haben. Als ich Dich als Freund meines Mannes vor rund 15 Jahren unter Deinem Spitznamen Skowi kennenlernte, wusste ich nicht, ob ich Dich mögen würde. Du warst direkt, unverblümt, manchmal unverschämt. Es machte Dir Spaß, mich zu provozieren und Du schertest Dich nicht um das sogenannte gute Benehmen. Und dann habe ich Dich – den Mann mit dem kahlrasierten Kopf und der Vorliebe für schwarze Kreuzberg- und St.-Pauli-T-Shirts – doch irgendwann in mein Herz geschlossen: Dich, den gebürtigen Solinger, den überzeugten Kreuzberger, den Fan von „Motörhead“ und „Black Sabbath“.

Ich staunte darüber, was Du alles wusstest und wie viel Du gelesen hast – zum Beispiel die Bücher des deutsch-französischen Journalisten Peter Scholl-Latour oder des US-amerikanischen Science-Fiction-Autors Philip K. Dick. Vor allem aber staunte ich über Deine unerschöpflichen handwerklichen Fähigkeiten. Als mein Mann und ich in unsere Wohnung in Neukölln zogen, wären wir ohne Deine Hilfe verloren gewesen. Bei allen wichtigen Gegenständen hast Du mit Hand angelegt – von den Bücherregalen bis zu den Möbeln im Bad, vom Sonnenschutz vorm Balkon bis zur Terrasse im Garten. Du kamst meistens mittags zu uns mit einem besonderen Werkzeug, das Du brauchtest. Manchmal kamst Du nüchtern, manchmal mit Alkohol im Blut.

[…]

Ein Besuch von Dir war immer etwas Besonderes. Egal ob wir zusammen arbeiteten oder uns nur zum Frühstücken oder Grillen trafen – es war eine Art Ausnahmezustand, manchmal auch ein Rausch. Und ja ich gestehe es, wenn Du noch betrunken warst von der letzten Nacht, dann war es manchmal anstrengend und nervig, oft aber besonders lustig und ausgelassen. Ich frage mich heute, ob wir Deinen Rausch gebraucht haben – für das exzessive Lebensgefühl, die Maßlosigkeit und den eigenen Kontrollverlust.

Ich werde nie vergessen, wie Du die neue CD von Max Raabe „Unplugged“ mitbrachtest. Eine Musik, von der ich nicht gedacht hätte, dass Du sie magst. Du kanntest fast alle Lieder auswendig und wir tanzten nach „Küssen kann man nicht alleine“ oder „Ich bin heute Nacht vakant“. Es war diese zarte poetische Seite, die ich nicht bei Dir erwartet hatte. Ich schenkte Dir eine CD von Mascha Kaléko, eine Berliner Dichterin aus den zwanziger Jahren. Auch diese sehr feinsinnigen Songs über das Leben und den Tod – vertont von der Berliner Sängerin Dota, die sich früher die Kleingeldprinzessin nannte – hast Du sehr gemocht. Und es gibt eine gelbe Vase mit feinem Blütenmuster, die Du mir einmal zum Geburtstag geschenkt hast, die ich nur zu besonderen Anlässen benutze.

[…]

Lieber Skowi, in den letzten Jahren konnten wir Dir beim Verschwinden zusehen. Es war ein Abschied mit Ansage und unsere verzweifelte Bitte, doch noch einen Teller mehr zu essen, hast Du meistens ausgeschlagen. Im Mai dieses Jahres warst Du das letzte Mal bei uns. Von dem Moment an, als Du in unseren Garten getreten bist, wusste ich, dies ist Dein letzter Besuch. Etwas hatte sich in deinem Gesicht verändert und ich sah den Todesengel auf Deiner Schulter. Es gehörte zu unseren Ritualen, dass wir dich am Ende Deines Besuchs zur Bushaltestelle brachten, wenn du aus Neukölln wieder nach Kreuzberg gefahren bist. An diesem Abend begleitete ich dich allein. Die Ernsthaftigkeit unseres Gespräches passte zu meinem Abschiedsgefühl. Du sprachst darüber, dass Du jetzt viel über dein Leben nachdenkst und manches bereust.

Lieber Skowi, Du hast dein Leben so beendet, wie du es gelebt hast: exzessiv. Du hast um jeden einzelnen Tag von diesem Erdendasein gekämpft. Im Hospiz hast Du mit uns darüber gesprochen, was du gerne noch gemacht hättest: zum Beispiel nach Italien fahren, um die antiken Stätten wie das Colosseum in Rom zu besuchen, oder an die Ostsee nach Warnemünde, um dort noch einmal ins Meer zu pinkeln.

[…]

Lieber Skowi – wir haben gemeinsam Fisch gegrillt und Zigaretten geraucht, gearbeitet und gefeiert, gelacht und gestritten, getanzt und gesungen. Du warst ein intensiver Mensch und ein schwer zu greifendes Rätsel zwischen Punk und Poesie, zwischen Solingen und Kreuzberg, zwischen Rausch und einer großen Nüchternheit. Wir vermissen Dich – als unseren treuen Freund.

Auszug aus der Trauerrede, gehalten im Dezember 2023 auf dem Luisenstädtischen Friedhof in Berlin-Kreuzberg

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