Wie ergeht es einer Berlinerin bei einer christlichen Reha im Schwarzwald? Eine besondere Zeit mit Frühsport, Schwäbisch, Schwarzwälderkirschtorte und neuen Freundschaften.
AUSZUG
Bevor es nach einem halben Jahr Wartezeit endlich losgeht, stirbt eine Freundin an Krebs. Ich schreibe neben dem Kofferpacken an einer Beerdigungsrede, die eine andere für mich halten wird. Meine Bahnfahrt, die um fünf Uhr in Berlin beginnt, endet auf halber Strecke in Pforzheim wegen Gleisbruch. Ich brauche ein Taxi, dann einen Bus. Zuletzt schickt mir ein Engel einen Mann, der mich mit seinem Auto von Calw an den Ort meiner Bestimmung bringt. Nach zwölf Stunden erreiche ich am Abend erschöpft die Reha-Klinik. „G’schwind ankommen“, sagt die Diensthabende Schwester mit schwäbischer Geschäftigkeit, die die Formalitäten mit mir regeln und endlich in den Feierabend möchte.
Godi oder Spazi
Letztlich ist es dieses g‘schwind eine Mail schreiben, g‘schwind zum Sport und anschließend geschwind um die Eltern kümmern – also dieses allzu g’schwind, das mich nach einem Burnout hierher geführt hat. Ich habe mir diese Klinik ausgesucht, weil ich mir etwas von der Verbindung von Glauben und Heilung verspreche. Alle Ärzte, Therapeutinnen, Schwestern und Pfleger sind Christinnen und Christen.

Der einzige Schmuck ist ein kleines Kreuz mit Lichterkette. Die Zimmer haben keinen Fernseher. Das Neue Testament liegt im Nachttisch.
Während des Aufenthalts soll man auf Alkohol und Nikotin verzichten.
Zur Nachtruhe um zehn legt sich eine große Stille und ein funkelnder Sternenhimmel über das Gelände, das aus mehreren kleinen Häusern und einem großen Garten besteht.
Von München bis Kiel
Als ich nach einer Woche wieder fit bin, lerne ich nach und nach die rund fünfzig Mitpatientinnen und -patienten kennen. Sie kommen von München bis Kiel aus der ganzen Republik – und aus evangelischen, katholischen und freikirchlichen Gemeinden. Unter ihnen sind viele Erzieherinnen, Frauen und Männer in Pflegeberufen und ein jüngerer katholischer Priester. Der Umgang ist familiär. Mit manchen von ihnen bin ich bis heute befreundet.

Die evangelische Kirche liegt hügelabwärts und thront mit ihrem geschwungenen Glockendach über einer Altstadt mit bunten Fachwerkhäusern. Wenn man die Klinik verlässt, muss man sich in ein Buch am Ausgang mit Ziel und Vornamen eintragen. Bevorzugt werden hier Abkürzungen benutzt: Godi steht für Gottesdienst und Spazi für Spaziergang. Die Landschaft außerhalb des Ortes ist atemberaubend: Nadelwälder, Obstbaumplantagen und Rapsfelder soweit das Auge reicht.

Ich bin in der Gruppe Gelb, was zu den fetten Butterblumen auf den Wiesen passt. Die Tautropfen funkeln noch an den Grashalmen, wenn wir beim Frühsport über die Hügel laufen. Der Duft nach frischem Brot aus der Bäckerei gegenüber der Klinik versöhnt mit dem frühen Aufstehen. Hier warten Belohnungen wie flammende Herzen und Schwarzwälderkirschtorte.
Mein Therapieplan ist mit Vorträgen, Entspannungsübungen, Sport und kreativen Kursen gefüllt. Einmal in der Woche haben wir SO – selbstorganisierte Gruppe. Dort können wir über Themen sprechen, die sonst zu kurz kommen.
Eine Frau um die Vierzig in Leitungsfunktion erzählt von ihrer Erschöpfung: Meine Kräfte sind nicht nur im Keller, sondern da ist noch ein bodenloser Brunnen darunter.
Nach ihrem Aufenthalt und viel Schlaf ist sie ihre monatelangen Kopfschmerzen los.
Jede Woche kommen und gehen rund zehn Patientinnen und Patienten. Immer montags wird in der Kapelle Abschied gefeiert. Es werden Lobpreis-Lieder gesungen, alle Instrumente benutzt, die vom Klavier, über Gitarren bis zu Trommeln und Rasseln zur Verfügung stehen, und Glaubenserfahrungen während der Reha geteilt. Beim Abschlussgebet sagt eine Patientin: „Danke, dass wir auf Kosten der Rentenversicherung in dieser christlichen Reha sein durften. Halleluja!“
Erschienen in Gemeindebrief Rixdorf – Evangelische Kirchengemeinde in Berlin-Neukölln, 1.8.2024
Ein Leben ohne To-do-Liste ist möglich – Die Kirche – Wochenzeitung für Berlin und Brandenburg, 2023
Zwischen Himmel und Hölle – Kuren in Corona-Zeiten – Die Kirche – Wochenzeitung für Berlin und Brandenburg, 2021